Grenzproduktivitätstheorie

Grenzproduktivitätstheorie
Grenzproduktivitätstheorie,
 
von J. H. von Thünen und J. B. Clark entwickelte Theorie der Einkommensverteilung. Grundlagen sind eine »klassische« Produktionsfunktion (positive, aber abnehmende Grenzerträge der Produktionsfaktoren) und das Modell eines allgemeinen Gleichgewichts bei vollkommener Konkurrenz (Preise und Mengen aller Produktionsfaktoren und aller Güter werden auf vollkommenen Märkten bestimmt). Das Nachfrageverhalten der Unternehmen steht im Mittelpunkt der Analyse. So beantwortet die mikroökonomische Fassung der Grenzproduktivitätstheorie die Frage, welche Mengen eines Produktionsmittels in einem Unternehmen eingesetzt werden müssen, wenn nach dem maximalen Periodengewinn gestrebt wird. Der Einsatz ist dann gewinnmaximal, wenn der in Geld ausgedrückte Grenzertrag des Produktionsmittels (Grenzwertprodukt oder Wertgrenzprodukt: Grenzproduktivität des Produktionsfaktors multipliziert mit dem Preis des Endprodukts; seltener Grenzerlösprodukt: Grenzproduktivität multipliziert mit dem Grenzerlös) gleich dem gegebenen Preis des Produktionsmittels (Faktorpreis) ist.
 
Bei der makroökonomischen Fassung der Grenzproduktivitätstheorie wird nach der Höhe dieser Produktionsmittelpreise selbst gefragt: Der Preis eines Produktionsmittels bestimmt sich im Gleichgewicht nach seinem in Geld bemessenen Grenzertrag. Aus den einzelwirtschaftlichen Nachfragefunktionen der Unternehmen wird eine Gesamtnachfragefunktion für die Produktionsfaktoren, wobei die Grenzproduktivitäten zusammen mit den gleichgewichtigen Faktoreinsatzmengen auch die funktionelle Einkommensverteilung bestimmen. Nach der Grenzproduktivitätstheorie schöpfen die Zahlungen an die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden, Kapital in Form von Lohn, Grundrente und Zins (Faktorkosten) das Sozialprodukt (gesamtwirtschaftlicher Produktionswert) aus, was voraussetzt, dass die gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion homogen vom Grade eins ist, d. h., eine proportionale Erhöhung der Faktoreinsatzmengen muss zu einer proportionalen Erhöhung der Produktion führen.
 
Die Grenzproduktivitätstheorie bietet ein einheitliches Erklärungsprinzip für alle Einkommensarten mit Ausnahme des Unternehmergewinns. Sie galt lange Zeit als die Theorie der Einkommensverteilung überhaupt, denn sie ist die Verteilungstheorie des marktwirtschaftlichen Modells. Ihre Gültigkeit wird von den theoretischen Prämissen und den Fakten der marktwirtschaftlichen Realität eingeschränkt. Besonders umstritten ist die Übertragung der Grenzproduktivitätstheorie auf die Lohnbildung und den Arbeitsmarkt und die damit verknüpften lohnpolitischen Folgerungen: Gilt für die Güterproduktion eine abnehmende Grenzproduktivität der Arbeit, so werden Unternehmer ihre Arbeitskräftenachfrage unter dem Gewinnziel jeweils nur so weit ausdehnen, bis die letzte eingesetzte Arbeitsstunde beim herrschenden Reallohnsatz (Faktorpreis der Arbeit) gerade noch Kostendeckung erzielt. Sinkende Grenzproduktivität erlaubt die Ausdehnung der Produktion und des Arbeitseinsatzes nur bei sinkenden Reallöhnen. Ist der Reallohn höher als das Wertgrenzprodukt der Arbeit, würde das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage übertreffen. Vorübergehende Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Nach der Grenzproduktivitätstheorie würden aber die Marktkräfte dazu führen, dass der Reallohn sinkt, bis er wieder dem Wertgrenzprodukt der Arbeit entspricht.

Universal-Lexikon. 2012.

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